Die Einfachheit der Dinge

Note: Content might be outdated!

Videoaufzeichnung und Skript meines Vortrags beim WordCamp Nürnberg 2016. Es geht um Performance – die einer Website, und davon abstrahiert: die der Menschen hinter einer Website, einem Theme, einem Plugin. Trigger-Warnung: freie Assoziationsketten. Dinge wie Küchenmesser, große Seevögel, Supermärkte und schlecht gemachtes Parallax im Quadrat gewürfelt. Ziemlich meta.

Die Einfachheit der Dinge, oder: warum Performance kein Luxus sein darf

Die Einfachheit einfacher, guter Dinge hat häufig mit Spezialisierung zu tun. Je einfacher, desto spezialisierter.

Ein Küchenmesser zum Beispiel dient einem einzigen Zweck: es schneidet. Natürlich kannst du eine Masse verschiedener Dinge damit schneiden. Das ist ja das Schöne an einem guten, ordentlich gepflegten Messer: Es schneidet Tomaten genauso sauber wie Brot, Käse, Suppengemüse, oder deine Daumenkuppe. Trotzdem besteht sein einer und einziger Zweck im Schneiden von Dingen.

Je spezialisierter ein Küchenmesser auf diesen einen Zweck ist – durch Verwendung eines hochwertigen Stahls, durch ein gut balanciertes Design und so weiter – desto besser performt es, das heisst desto reibungsloser erfüllt es seine Aufgabe im Zusammenspiel mit anderen Werkzeugen im modularen System, das wir Küche nennen.

Dann gibt es natürlich noch das Schweizer Taschenmesser. Tolles Ding, kannste alles Mögliche mit machen, bloß in der Küche wirst du es nicht so gerne verwenden, weil es zum performanten Schneiden von Sachen einen Tick zu klobig ist, mit all seinen Zusatzfunktionen. Flexibel, nicht spezialisiert: nicht einfach.


Eine Vogelfeder besteht aus demselben schwefelfreien Protein (Keratin) wie die biegsamen Haare von uns Säugetieren. Federn sind in ihrer Architektur jedoch so spezialisiert, dass sie einen 12 kg schweren Albatros mit einer Spannweite von über dreieinhalb Metern an einem einzigen Tag 1.000 km weit durch die Luft tragen – hochgradig performant, ohne einen einzigen Flügelschlag.

Vom mittleren Schaft einer Schwungfeder gehen zu beiden Seiten diagonal kleine Ästchen ab, Barben genannt, die sich wiederum, nach dem gleichen Schema, in die sogenannten Barbulen verästeln.

Barben und Barbulen formen bereits die Feder, wie wir sie sehen – allerdings wäre sie sowohl als einzelne Feder, wie auch im System mit anderen Federn viel zu instabil, gäbe es nicht die Barbikel: winzige Verästelungen in der Form kleiner Haken, aus deren kreuzweiser Verhakelung wir das Prinzip des Klettverschlusses abgeleitet haben, das an der Feder wiederum die Barben zusammen hält.

Federn zählen zu den komplexesten Extremitäten bei den Wirbeltieren; der hohe Grad von Selbstähnlichkeit in ihren formenden Strukturen lässt ihre Architektur jedoch erstaunlich einfach erscheinen.

Und obwohl alle Arten von Federn im Prinzip gleich aufgebaut sind – aus Schaft, Barben, Barbulen und Barbikeln – dienen die Unterschiede ihres Designs einer extremen Spezialisierung im Hinblick auf ihre Performance: Schwungfedern sind perfekt für den einen Zweck des Fliegens geschaffen, während beispielsweise die viel weicheren Daunenfedern das Körperklima regulieren und gegen Nässe schützen.

Erst gemeinsam bilden die verschieden spezialisierten Federtypen ein performantes System – das Gefieder – in dem sich die einzelnen Komponenten optimal ergänzen.

“The bigger picture is essential” —@no_fear_inc

Einfachheit, im Sinne einer Spezialisierung, schafft also Raum für Komplementäre.

Stell’ dir eine Straße in einer Stadt im Wilden Westen vor.
Oder im alten London.
Oder in einer deutschen Kleinstadt, bevor Aldi kam:

  • Bäcker
  • Fleischer
  • Gemüse- und Obstladen
  • Fischhändler
  • Süßwaren
  • Eisenwaren
  • Haushaltswaren
  • Apotheke
  • Drogerie
  • Postamt
  • Bank
  • Schuster
  • Schneider
  • Friseur
  • Buchhändler
  • Eisdiele, Saloon, Pub, oder Gaststätte

Der eine hat, was die andere nicht hat. Alle sind auf jeweils eine Warengruppe oder Dienstleistung spezialisiert und ergänzen sich ganz ausgezeichnet. Man bekommt alles, was man brauch, im Umkreis von einem halben Quadratkilometer – inklusive sozialer Interaktion und lokalem News-Feed.

Dann kommt einer, der die Schönheit dieses Systems nicht versteht. Der schaut sich das harmonische Treiben an, stellt einen Supermarkt ans Ende der Straße und verkauft dort alles, was alle anderen auch verkaufen, zum halben Preis.

Den Rest der Geschichte kennen wir, wir leben ja drin.

Für seine Kundschaft scheint ein Supermarkt natürlich die noch viel einfachere Lösung zu sein, als viele Einzelhändler: nur ein Ziel, anstatt ein halbes Dutzend, nur einmal Schlange stehen, anstatt 6mal, alles an einem Ort…

Aber die scheinbare Vereinfachung hat einen Preis, und den zahlen die Kundinnen und Kunden oben drauf, ohne sich darüber klar zu sein:

Diversifizierung und Kampfpreispolitik gehen zu Lasten der Qualität. Weil das spezialisierte System drum herum nach und nach abstirbt, entsteht ein schleichendes De-Facto-Monopol des zentralisierten Angebots und damit eine Abhängigkeit der Konsumierenden von seinen Launen.

Eine Marke ersetzt das Gesicht eines Ansprechpartners. Markenpsychologie und das Erzeugen einer künstlichen Nachfrage für ein minderwertiges Angebot treten an die Stelle einer gesunden Ökonomie von Menschen für Menschen.

Die Einfachheit der Dinge geht verloren, wo spezialisierte, komplementäre Komponenten eines Systems einem künstlich forcierten „Alles“ weichen müssen:
All in one,
All inclusive,
Alles aus einer Hand.

Ein Alles ist selten einfach.
Alles ist meistens chronisch schmerzhaft kompliziert.

“WordPress is not easy, and that’s ok” —@mor10

Wenn du jeden Tag die WordPress-Probleme anderer Menschen löst, fängst du irgendwann an, dir selbst Fragen zu stellen.

Am Anfang ist alles noch ganz lustig. Du schmunzelst, wenn ein Kunde mit der Chuzpe enthusiastischer Ahnungslosigkeit Erweiterungen in seine Installation hinein flankt, bis schließlich mal irgendwas kaputt geht.

Du federst jeden harten Vorwurf professionell ab und bleibst freundlich. Auch wenn dein Produkt absolut nichts dafür konnte, dass ihm der Laden um die Ohren geflogen ist, bringst du Empathie für seine Gefühlslage auf; vielleicht war dein Produkt einfach das letzte, das er aktiviert hatte, oder das erste, vom dem ihm die Support-Adresse einfällt, und deswegen schlägt er mit seinem Frust halt bei dir auf.

Jedes geschlossene Ticket pudert dein Ego, weil du immer krasser Bescheid weisst, Dinge erklären und echte Probleme sogar lösen kannst. Und manchmal lachst du mit deinen Kolleginnen und Kollegen – natürlich nie über deine Kund_innen, sondern über die mannigfaltigen Absurditäten, die Menschen mit Freier Software anzustellen im Stande sind.

Aber irgendwann vergeht dir das Lachen, und du merkst, dass die Stresspunkte eines wahrgenommenen Widerspruchs zu einem realen Gesundheitsrisiko auf beiden Seiten der Support-Inbox kulminieren können.

Du beginnst nach einer Ursache zu suchen, nach dem einen Fehler hinter all den anderen Fehlern, die ja nur allzu oft gar keine Fehler sind, sondern einfach Meinungen zu einem perfekt funktionierenden Produkt im Spiegel kompetenzfreier Bewertung.

Du fängst an, dir über das „große Ganze“ Gedanken zu machen – nicht über das ganz große Ganze, aber eben doch über dieses ganze „System WordPress“.

Du kennst dieses System von allen Seiten. Seine Schönheit und seine Klischees, seine Ferienidylle und seine zuweilen hässliche Alltagsrealität.

Du hast Code wie Poesie gesehen und WP-Admins wie Schlachtfelder, auf denen sich Dutzende von Komponenten um ein jämmerliches Quäntchen Screen Estate schlagen.
Dein Support-Postfach gleicht nicht selten einem Lazarett der Plugin Wars.

Bei jedem Login auf einem Kundensystem werden deine müden Augen Zeugen eines initialen Gemetzels aus Tooltip-Tour-Teasern und plumpen, als Admin-Notices getarnten Upsell-Versuchen, die sich gegenseitig tot schreien, blind und taub für die 1,4 Millionen Quadratpixel um sie herum.

Du hast grundsolide Backends in die Knie gehen sehen unter der Last aberwitziger jQuery-Orgien, und du musstest mit ansehen, wie das wohl harmloseste Frontend-Feature der Welt ein Top-Seller-Theme zerlegte, bloß weil es dessen CSS die Luft zwischen den Zeilen rauslassen wollte.

Und weil du all das so oft gesehen hast, fängst du schließlich an, dir Gedanken über Performance zu machen.

“Your website
 should not
 exceed…” —@Pinboard

Performance ist so etwas wie das Königsfeature einer Website.

Eine Webseite performt, wenn sie schnell lädt, für Menschen in jeder Umgebung und von jedem Gerät mit Browser aus zugänglich ist, und dabei ein zuvor gesetztes Ziel erfüllt.
Bei content- oder e-commerce-orientierten Websites besteht dieses Ziel in der Regel darin, dass Menschen etwas lesen, abonnieren, oder kaufen.

Kein Design der Welt kann den Wert erstklassiger Performance ersetzen. Keine noch so ausgeklügelte Produktpräsentation, und erst recht nicht irgendwelche dekorativen „Zappel-Skripte“ vermögen es, Traffic zu generieren und Konversionsraten zu steigern, wenn eine Website schlichtweg NICHT LÄDT! Oder zu langsam.

Bis auf die gelegentliche 10MB-Bilddatei, oder admin-ajax, sind es übrigens selten die vom gleichen Server geladenen Ressourcen, die eine Seite langsam machen – die bekommt man mit ein paar Kniffen und einem Caching-Plugin eigentlich immer ganz gut in den Griff.
Richtig Stress machen fast immer externe Komponenten – Skripte für Ads, Social Plugins, oder auch mal eine Google-Font-Orgie.

Aber darum geht es ja noch nicht mal.
Die Frage, die vor dir in der Browser-Konsole einer schlecht performenden WordPress-Seite tanzt wie Rumpelstilzchen ums Feuer, lautet ja nicht:
Wieso performt der Zappelkram nicht anständig?
Auch nicht: Wieso laden die Ads so lahm?
Oder: Wieso braucht es 7 Requests zu ein und demselben Social Network für ein einziges blödes Like-Button?

Deine Frage geht ein Stockwerk tiefer.

“Human
 beings get seduced by
 complexity” —@adambsilver

Es gibt einen wahrnehmbaren Widerspruch zwischen dem Angebot einer minderwertigen Nutzererfahrung und dem Anspruch einer hochwertigen, wertschöpfenden Nutzeraktion, die daraus resultieren soll. Dieser Widerspruch kann durch Performance im Browser offenbar werden – aber dort wird er nicht gelöst!

Du kommst zu dem Schluss, dass der tägliche Verrat an der Einfachheit der Dinge mehr mit Menschen als mit Ladezeiten zu tun haben muss – und du wappnest dich mit brennender Geduld, denn nun ist es menschliche Performance, die du zu hacken beginnst.

  • Warum muss es zappeln, wenn schlecht gemachte Animationen Menschen nachgewiesenermaßen stressen?
  • Warum gibt es immer noch mies performende Ads, wenn Menschen sie nachgewiesenermaßen nicht tolerieren, geschweige denn sehen wollen, sondern sie aktiv blocken?
  • Warum gilt Social Proof bei Sales-Leuten als das Maß aller Dinge, wenn er nachgewiesenermaßen im großen Stil gefaked wird?
  • Warum übersehen Menschen (Autor eingeschlossen) das Offensichtliche?
  • Warum treffen Menschen Entscheidungen, die im Hinblick auf ihre selbst definierten Ziele nicht funktionieren können?
  • Warum machen sich so viele Menschen so wenig Gedanken über Performance und kaufen (oder liefern) lieber obszön animierten Fake, als schnelle, zugängliche Webseiten, auf denen man zügig und effizient sein Geld ausgeben kann?

„Wie kann das sein?“, lautet die Mutter all deiner Fragen.


Anfangs hältst du Ausschau nach Konstanten, um darauf Theorien zu errichten. „Es gibt nichts Gutes im Schlechten“, beispielsweise, und du posaunst es stolz gegen die Talwände, bis das Echo dich eines Besseren belehrt.
Längst nicht alles ist schlecht am vermeintlich Schlechten, und das Gute mehr als selten weniger als gut.

„Wie kann das sein?“

Du wälzt Lehrsätze und Thesenpapiere, co-deklarierst Dogmen, Dos and Donts … aber ein im Nebel erhobener Zeigefinger taugt halt nicht mal als Amateurfunkantenne.

Nach und nach wird dir klar, dass die Best Practices von heute nichts weiter als die Antipatterns von morgen sein werden. Nichts scheint von Bestand, und natürlich fängt deine Frage langsam an, zur Farce zu werden –
Warum fragen?
Warum denken?
Warum etwas wollen?
Warum nicht einfach nett lächeln, ein paar Scheine machen und nach Hause gehen?

Evidenz per Form

Performance – die Herkunft des Begriffs geht wohl auf das Lateinische „performare“ zurück: vollständig bilden, die Ausbildung beenden. Nicht nur die Ausbildung eines jungen Menschen etwa, sondern auch das „Bilden“ im bildnerischen Sinn: den Gestaltungsprozess an einer Sache vollenden.

Webster’s Old Dictionary verweist außerdem auf das altfranzösische „parfournier“:
par – durch, per;
fournier – ausstatten, geben.

Performance: durch das Gegebene. Evidenz per Form.


Software ist ein Spiegel der Menschen, die sie machen, und ihr Erfolg wahrscheinlich ein Spiegel derjenigen, die sie nutzen.

„Wer mit Software erfolgreich sein will, muss die Bedürfnisse von Anwenderinnen und Anwendern erfüllen.“, sagt die Binsenweisheit.

Das ist natürlich Unsinn. Nette Software tut das.

Kommerziell erfolgreiche Software nimmt keine Rücksicht auf die Bedürfnisse von Menschen. Kommerziell erfolgreiche Software manipuliert Menschen, damit sie die Klappe halten und Absatzzahlen liefern.

Zufriedene Menschen generieren keine Umsätze, mit denen man Venture-Capital-Leute oder Aktionäre beeindrucken kann. Deswegen verfrankensteinern Marketingstrategen zufriedene Menschen in unzufriedene Monster, denen man eine Handvoll neuer Nicht-Features und ein frisches UI als Produktrevolution verkaufen kann. Anschließend wird 2 Wochen lang gemeckert und 11 Monate auf das nächste Update gewartet.

Es gibt Indizien dafür, dass der Sog des Immer-Neuen, das stupide Ausspielen des Update-Trumpfs, einen Strudel erzeugt, in dem kommerzielle Software langsam, aber sicher ihr wertvollstes Asset verzockt: die Aufmerksamkeit von Menschen.

„Wie kann das sein?“

“To create useful,
long-lasting products…” —@mikemcalister

Bei WordPress liegt die Sache natürlich anders.
WordPress ist „nette“ Software.

WordPress setzt zwar lieber die geistige Gesundheit seiner Entwickler_innen aufs Spiel, als ein paar ewiggestrige Hoster mit einem Shitstorm wegen sicherheitsgefährdender PHP-Versionen zu verprellen.

WordPress nimmt aber auch seinen selbstgewählten Demokratisierungsauftrag ernst genug, um ein unbequemes Feature wie Accessibility in den Stand einer Core-Mission zu heben.

Das WordPress-Backend ist sicher kein leuchtendes Beispiel modernen UX-Designs, aber es tut, was es soll, und das recht stabil. Trotz REST API und all ihren großartigen neuen Möglichkeiten, ist und bleibt WP-Admin vorerst für Millionen von Nutzerinnen das Tor zum Publizieren und Geld-verdienen online. Und für die Hersteller von Themes und Plugins eben: ein Marktplatz.

„Wie kann das sein?“


Der Verkauf von WordPress-Produkten ist tricky – Hashtag: GPL.

Als Derivat GPL-lizensierter Freier Software kann der Code für ein WordPress-Theme oder Plugin quasi nicht verkauft werden, ohne dass das Credibility-Label für gutes WordPress-Citizenship – „100% GPL“ – den Bach runter geht. Das wissen die meisten Anbieter_innen und stellen sich mehr oder weniger schlau dabei an, Support im Kielwasser ihrer Software zu verkaufen.

Mach’ dir das klar: Wenn du ein Theme oder Plugin auf den kommerziellen WordPress-Markt wirfst, wird die Entwicklung und Pflege soliden, kompatiblen Codes nicht mal die Hälfte deiner Leistungen ausmachen.
Willkommen im Service-Segment! Support ist dein Tagesgeschäft, entwickeln darfst du nachts – oder du stellst Leute ein.

Menschen wiederum, die wissen, dass sie Geld für Support bezahlt haben, wollen korrekt behandelt werden. Und dabei kommt es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu Missverständnissen bezüglich deines Leistungsprofils:

„Ist was kaputt, mach’ es heile – hab’ ich für bezahlt!“

Oder:

„Funktioniert was nicht, wie ich möchte, mach’, dass es funktioniert – hab’ ich für bezahlt.“

Dein Support performt, wenn es dir gelingt, das Erstere – die Supportfrage – vom Letzteren – dem Anpassungswunsch – möglichst sauber zu trennen; auf das Eine blitzschnell und zuverlässig zu reagieren, und das Andere freundlich in Richtung Codeable und Konsorten weiter zu reichen.

“Life is too short for fake butter, cheese, or people” —@BiIIMurray

Warum spielt das eine Rolle im Hinblick auf die Performance der Menschen hinter einem WordPress-Produkt?

Wenn der kommerzielle Erfolg deines Geschäftsmodells davon abhängt, dass Menschen sich von deinem Produkt und dir gut behandelt fühlen, kann das eine einschüchternde Perspektive darstellen. Und du hast immer noch die Wahl: Nimmst du die Herausforderung an, oder gehst du einen anderen Weg?

Im Grunde gibt es zwei mögliche Strategien:

A. Du scheisst auf Service-Qualität und richtest dein Marketing strikt auf Masse aus. Egal, wer und warum, Hauptsache sie bezahlen, oft und viel. Deine Fassade ist ein Palazzo, deine Settings-Seite im Backend ist 5 Jahre alt und stinkt nach altem TimThumb.

Weil du Masse bedienst, ist auch dein Produkt massig. Es wiegt Tonnen, kann alles, macht alles, bietet alle Möglichkeiten – der Supermarkt am Ende der Straße.
Deine Preise hältst du niedrig genug, damit die Massen strömen, was sich natürlich schmerzhaft auf deine Marge auswirkt, was wiederum deine Motivation befeuert, Massen umzusetzen und täglich zu wachsen.

Verfeatured wird, was glitzert. Dein Paradigma ist die Reaktion auf eine künstlich geschaffene Nachfrage nach Schrott, von der du dir einredest, dass sie ohne dich genauso existiere, also sei es wurscht, ob du oder wer anders sie befriedige – außer dass es natürlich blöd wäre, wenn wer anders die ganze Kohle macht.

…oder B. Du setzt auf Menschen und darauf, ihre Erwartungen zu übertreffen.
Du versprichst Haltbares und übertriffst deine Versprechen nach Plan. Deine Präsenz im Backend deiner Kund_innen und dein Helpdesk sind eins, aber anstatt wie der Hahn auf dem Misthaufen dein Revier voll zu krähen, benimmst du dich wie ein Gast, der auch gerne mal beim Abwasch hilft und dann höflich-diskret seine Visitenkarte hinterlässt.

Wenn du ein potenzielles Problem im System ohne Nutzeraktion erkennen und lösen kannst, tust du es. Wenn du es nicht kannst, kommunizierst du es – in einer für Menschen verständlichen Ausdrucksweise! – als dein Problem, nicht als eins deiner Kund_innen, und bietest proaktiv kurze Wege zur Lösung an.

Du bist dir deiner Verantwortung als Fachmensch bewusst und hast den Ehrgeiz, das WordPress deiner Anwender_innen als Ganzes performant zu gestalten.

Dein Paradigma ist die Innovation im Alltäglichen, und dafür nimmst du nicht nur Extra-Meilen an Support für Drittanbieter-Produkte in Kauf, sondern investierst Zeit und Geld in die Vernetzung und Kommunikation mit anderen Anbieter_innen, um dein Produkt mit deren Produkten kompatibel zu halten.
Dein performanter Code und dein ehrliches, von Hilfsbereitschaft geprägtes Interesse am Erfolg deiner Kund_innen performen ein Klima von Sicherheit und freundlicher Kooperation ins Backend.

Menschen vertrauen dir, und du gehst mit diesem Vertrauen verantwortlich und liebevoll um.

“Do fewer
 things,
 better” —@dharmesh

Ist das realistisch? – Nein. Das ist ein Ideal.

Aber eine Realität mit knapp 44.000 Plugins und über 3.800 Themes allein auf WordPress.org –

eine Realität, in der erwachsene Menschen mit Freier Publishing Software hantieren wie Kleinkinder mit Mamas Smartphone, wenn sie es zu fassen kriegen, bloß dass es um viel mehr geht als dass ein iPhone vielleicht mal in der Corn-Flakes-Schüssel landet –

eine solche Realität braucht dringend gesunde Ideale auf Seiten ihrer Gestalterinnen, damit sie für Menschen in Zukunft noch funktioniert.

Welche spirituelle Erleuchtungserfahrung müssen wir machen, um zu begreifen, dass Performance nicht bei der Minifizierung eines Stylesheets, beim Caching einer Datenbankabfrage, oder gar bei einer (sowieso irrelevanten) „100/100“ PageSpeed-Note beginnt, sondern bei einer Webseite, einem Plugin, einem Theme, einem WordPress, die uns ein Lächeln ins Gesicht zaubern, weil wir dahinter Menschen wahrnehmen, die sich die Mühe gemacht haben, für uns zu performen –

einem WordPress, dessen Gestalter_innen und Anwender_innen gleichermaßen Performance nicht als Luxus verstehen, sondern als Design-Prinzip, als Faustregel, als Verhaltensmaxime, um die Einfachheit der Dinge für 26 Prozent dieses Internets – Tendenz steigend – zu bewahren?

Danke fürs Zuhören. <3


Die fantastischen Sketchnotes von @photostroller zum Vortrag, mit freundlicher Genehmigung der Urheberin:

Küchenmesser vs. Taschenmesser, Königinnen-Feature vs. verfrankensteinerte Verbraucherzombie-Person
Sketchnote von @photostroller, veröffentlicht unter CC BY-NC-SA 2.0 auf Flickr
Levitierender Meister des „Wesentlichen“ im Yoga-Sitz
Sketchnote von @photostroller, veröffentlicht unter CC BY-NC-SA 2.0 auf Flickr

Update April 2017: Noch eine wunderschöne Sketchnote, diesmal von Steffen Voß (publiziert auf Flickr unter CC BY 2.0).

Die Einfachheit der Dinge - Caspar Hübinger

2 reactions on “Die Einfachheit der Dinge

  1. Meine Gute-Nacht-Geschichte, da ich den Vortrag nicht hören konnte. Ich finde die Idee gut und werde noch mehr darauf achten, das zuerst mal ich gut performe. Dass ich meinen Kunden so gut zuhöre, dass sie sich nur noch um Ihre Ideen kümmern müssen, um ihren Job – nicht um die Technik und die Umsetzung.
    Dann können meine Kunden besser performen, da sie wieder freier im Kopf sind, da sie sich auf ihr Spezialgebiet fokussieren können.

    Danke

    1. 👍 Klasse, Wolfram!

Reactions are closed.